Die letzten Wochen habe ich "A Series of unfortunate Events" angeschaut, eine Serienumsetzung von Netflix einer Buchserie mit 13 Büchern.
Und es war wesentlich pessimistischer und somit deprimierender, als ich erwartet habe, und je weiter die Serie fortgeschritten ist, desto schlimmer ist es geworden.
Täuschung kann man niemanden vorwerfen: Der Titelsong heißt "look away", das Themenlied "There are no happy endings" und Lemony Snicket, der Erzählercharakter, warnt zu Beginn von fast jeder Folge, man solle doch bitte was anderes schauen.
Ich für meinen Teil hätte auf ihn hören sollen.
Sicherheitshalber sage ich es nochmal: Spoiler galore.
Ich hole aber noch etwas weiter aus - in den letzten Jahren habe ich einige Werke aus Hollywood (gemeint die US-Amerikanische Unterhaltungsindustrie) konsumiert, deren Grundannahme war "Die Welt ist schlecht. Die Menschen sind schlecht. Wir hassen alles und jeden". Trotzdem waren es Komödien, Musicals usw. Den Werken hat jede positive Grundeinstellung, für die Gegenwart wie die Zukunft, gefehlt. Frei nach David Benatar "Humankind was a mistake - let's end the human race".
So schlimm ist diese Serie nicht, aber gegen Ende wird es doch als zumindest vertretbar dargestellt, die Welt niederzubrennen - es ist letztlich das einzige, was zu so etwas wie "poetic Justice" führt. Genauer gesagt Todesstrafe für die unfähigen Leute, die nicht nur zu unfähig waren ihren Job zu machen bzw zu helfen, sondern eben wegen derselben Defizite auch unfähig sind, sich selbst zu retten.
Aber etwas mehr der Reihe nach:
In der Serie geht es um die Baudelaire-Waisen, deren Eltern gleich zu Beginn des ersten Buchs/Folge in einem (gelegten) Feuer sterben. Außerdem geht es um Count Olaf, der es sich in den Kopf gesetzt hat, an das Erbe der Waisen zu kommen.
Die Waisen werden von Vormund zu Vormund weitergereicht werden. Diese aber werden entweder umgebracht, oder sind völlig ungeeignet und desinteressiert. Die meisten Morde in dem Buch begeht Olaf, eben weil er an deren Vermögen will und irgendwie eine Rechnung mit den Eltern offen hat (die er auch schon umgebracht hat).
Nur wenige Leute sind überhaupt interessiert daran, den Waisen zu helfen, und diese werden fast alle von Olaf umgebracht.
Das hört sich alles sehr schlimm an (und ist es auch), aber die Serie ist post-gotisch, absurdistisch, voller überzeichneter Charakter, vereinfachter Zusammenhänge, alberner Kostüme, literarischer Anspielungen und Wortspiele.
Wie ein Taschenspieler lenkt sie einen den Großteil der Folgen davon ab, dass es den 3 Waisen ungefähr so gut geht wie Kindern in Kriegsgebieten (Tod, Krankheit, Spielball anderer, Zwangsarbeit), ein, zwei mal pro Folge trifft es einen dann dafür richtig, dass schon wieder ein Vormund ermordet wurde, oder eine der wenigen Personen, die ihnen helfen wollten, Olaf schon wieder unterschätzt hat und von diesem umgebracht wurde. Dann kommt aber gleich das nächste Wortspiel oder non-sequitur, und die Waisen werden weggekarrt zur nächsten Episode, wo es ihnen dann noch mal schlechter geht.
Dramaturgisch ist es sehr gut gemacht, zum Beispiel wird ein paar Folgen lang die Hoffnung genährt, die Eltern der Kinder hätten doch überlebt, bis sich herausstellt, das sind die Eltern der Quagmires die man immer gesehen hat. Die sterben dann aber auch in einem Feuer und die Quagmire-Drillinge werden auch Waisen mit einem ähnlichen, aber nicht so schlimmen, Schicksal, deren Wege sich mit denen der Waisen immer wieder kreuzt.
Den Waisen geht es dabei oft wie Kassandra, die das Unglück kommen sieht, aber machtlos ist, es abzuhalten - meistens sind die die einzigen, die Olafs neues Kostüm und neuen Plan durchschauen, aber niemand hört auf sie.
Das Verhalten der anderen Charaktere hat mich dafür öfter an Biedermann und die Brandstifter erinnert, die Bosheit, Verachtung und Bereitschaft zu Morden von Olaf ist sehr rasch sehr offensichtlich, aber trotzdem wird er unterschätzt, man versucht seiner nur halbherzig habhaft zu werden und seine grotesken Verkleidungen und dummdreisten Cover-Storys werden trotz der Warnungen der Waisen in den Wind geschlagen. Einige Mitglieder eines Geheimbunds, die den Waisen helfen wollen, glauben immer noch an das Gute in Olaf, was aber jedes Mal nur dazu führt, dass er auch diese Personen ermorden kann.
Zu Biedermann und die Brandstifter passt auch, dass sehr viele Brände gelegt werden und dass viele der Figuren gegen Ende in einem Feuer sterben.
Einige Zeit habe ich überlegt, ob man es als Satire auf Märchen und Coming-of-Age verstehen sollte, aber eigentlich ist es eine ganz klassische Tragödie, mit etwas mal mehr, mal weniger, absurdem Humor.
Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen, gegen Ende haben die 3 Waisen ihren eigenen Tod akzeptiert, überleben aber gerade noch, müssen sich um ein weiteres Waisenkind kümmern und können - als zumindest emotional wenn auch nicht körperlich - Erwachsene in eine ungewisse Zukunft aufbrechen. Dadurch dass (fast) alle Figuren aus ihrem Umfeld tot sind, haben sie wenig Ballast für diese Zukunft (von der Vielzahl an Traumata abgesehen) und theoretisch verfügen sie immer noch über ein ordentliches Erbe, wobei unklar ist, ob/wann sie drauf zugreifen können oder ob nicht schon alles verbrannt ist.
Unklar ist mir, wieso die Serie ein 7+-Rating hat: Wie erwähnt sterben viele Leute: ZB durch Feuer, durch Gift, 2 werden von wilden Tieren gefressen und einer wird in kochendem Curry ertränkt. Außerdem sterben ungefähr alle Eltern.
Details sieht man fast keine, und es fließt kein Blut, aber das Rating nur davon abhängig zu machen, ob man Blut oder Brüste sieht, finde ich unsinnig.
Letztlich ist es eine tragische, post-moderne Coming-of-Age-Geschichte: Die Waisen lernen auf äußerst brutale Art und Weise, dass sie sich auf niemanden verlassen können - entweder sterben die Leute oder sind unwillig oder unfähig ihnen zu helfen. Die Autoritäten sind ineffektiv und unterwandert - selbst der High Court (der so eine Mischung aus Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafjustiz sein soll) ist zu 2/3 von Schurken besetzt, so dass Justice Strauss, die noch am wenigsten unfähige und gar nicht unwillige Helferin, trotz allen Bemühens niemandem helfen kann - immerhin ist sie als eine der wenigen nicht zu inkompetent, am Schluss aus einem brennenden Gebäude zu fliehen. Die Medien lügen nur und machen alles schlimmer und die Öffentlichkeit verlangt nach Spektakel, aber nie nach Gerechtigkeit, Milde oder Ausgleich. Oder auch nur danach, dass Kinderrechte zumindest etwas gewahrt bleiben.
Letztlich müssen sich die Waisen auch eingestehen, dass sie nicht immer nur "nobel" handeln können, als sie vor allem in der zweiten Hälfte einige Male ihre Prinzipien oder Helfer verraten müssen und ab und zu Olaf helfen müssen, Brände zu starten, nur um selbst zu überleben. Das ist auch eine Entwicklung und Erfahrung, die Olaf durchgemacht hat.
Das Ende ist wie gesagt offen, dass sie aber weiter so tief absteigen wie Olaf wird zumindest in der Serie nicht angedeutet.
Die Serie ist gut gemacht, hochkarätig besetzt (für Netflix), sehr gut gespielt, gute Kostüme, das Produktionsdesign ist ausgezeichnet, nur die Spezial Effekte sind manchmal recht billig.
Aber ich für meinen Teil mag es nicht, mir Sachen anzusehen, die je länger sie laufen noch deprimierender werden und so eine simple Botschaft haben: "Evil will always triumph. Just try to stay alive."
Die Welt ist schon schlecht genug. Wenn ich vor der Glotze sitze, dann erwarte ich mir zumindest ein bisschen Eskapismus.
Ich habe die Bücher nie gelesen, werde es sicher nicht tun, und werde versuchen, meine Kinder davon abzuhalten.
Soweit ich Wikipedia und Reddit entnommen habe, sind die Bücher sogar noch düsterer als die Serie, die zumindest ein paar der Nebenstränge gut enden ließ und das weitere Schicksal der Waisen zumindesten offen lässt.
“People aren't either wicked or noble. They're like chef's salads, with good things and bad things chopped and mixed together in a vinaigrette of confusion and conflict.”
"A Series of unfortunate Events", Pessimismus, Post-Moderne und Misantrophie
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