Willkommen im Zeitalter des Postfaktischen
Posted: 16 Nov 2016, 08:50
Willkommen im Zeitalter des Postfaktischen.
Was meine ich überhaupt damit?
Kurz gesagt, dass tatsächliche Fakten (Anm: im Erstentwurf habe ich mich vertippt und Faken geschrieben - ich hätte es fast dabei belassen) auf den Ausgang einer Wahl nur noch einen vernachlässigbaren Einfluss haben, entscheiden tun Gefühle und wer diese - zumeist mit Lügen, egal wie offensichtlich diese sind - anspricht.
Am Offensichtlichsten zeigt dies der Wahlsieg von Donald J. Trump bei den US Presidential Elections 2016 gegeben: Trump hat nicht nur einen rassistischen Wahlkampf geführt und ist mit Misogynie und Ahnungslosigkeit aufgefallen, er hat sich dabei auch von der Wirklichkeit nicht im Ansatz irritieren lassen. Es gibt zahlreiche Fälle, wo er irgendwas leugnet, dass er noch wenige Wochen vorher gesagt hat, aber so auf die Schnelle erinnere ich mich an 2 Beispiele, die ich jetzt frei ins Deutsche übersetze:
1. Rudy Giuliani, früher Bürgermeister von NY und jetzt einer von Trumps Beratern, sagt in einem Interview, die Amerikaner fühlen sich nicht sicher. Der Interviewer fragt ihn, wieso denn das, die Kriminalitätsrate sinkt ja seit Jahren, und er geht da gar nicht drauf ein, sondern sagt "Sie fühlen sich nicht sicher".
2. Trump hat irgendwann im Wahlkampf einen Statistik gezeigt, nach der über 80% der Weißen, die in den USA ermordert werden, von Schwarzen ermordet werden (Stichwort Rassismus). In einem Interview hält man ihm vor, dass die Zahl eine reine Erfindung ist, weil in Wahrheit sind es nur 15%. Trump ist das egal, er sagt nur, soll er etwa alles überprüfen? Da hält ihm der Interviewer vor - und der war von Fox, also von einem äußerst republikaner-freundlichen Sender - dass er genau das tun muss, denn schließlich will er Präsident werden. Er sag nur, er hat's halt im Radio gehört und damit ist das Thema für ihn erledigt.
Jetzt juckt es sicher so manchen Leser & -innen in den Fingern zu posten, was ist daran neu, Politiker haben immer schon gelogen, und Trump ist halt nur besonders unverschämt und trotzdem erfolgreich.
Das stimmt natürlich, und es ist ja nicht so, dass dieses Phänomen, welches ich jetzt großspurig Zeitalter nenne, mit Glockenschlag 12 Uhr begonnen hat.
Was aber hat sich - langsam, aber stetig - geändert?
Zum Einen das Ausmaß und die Unverschämtheit der Lügen - sind es nur einzelne und basiert die halbe Kampagne darauf? Sind sie offensichtlich oder bedarf es einiger Recherche, sie aufzudecken?
Dann natürlich, wie reagiert wird, wenn man erwischt wird - macht man einen Rückzieher oder, wie jetzt, beharrt weiter drauf.
Dann die Rolle der Medien - die klassisschen Mainstreammedien, also vor allem (seriöse) Zeitungen und Fernsehsender - verlieren immer mehr an Einfluss. Es gibt Umfragen, die zeigen, wieviel ihrer Nachrichten Leute mittlerweile aus den sogenannten sozialen Medien bekommen, und dort kann nicht nur theoretisch jeder irgendwelchen Blödsinn verzapfen, es geschieht auch in großem Ausmaß (siehe Links weiter unten). Weil Alphabet, FB und Co die Nachrichten vorsortieren und dabei nicht nach "Qualität" (vulgo Wahrheitsgehalt) unterscheiden (können), bekommen Leute, die eine bestimmte Art von Themen mögen, immer mehr der selben vorgesetzt, egal ob's stimmt oder nicht und werden daher auch weiter in ihrer Meinung bestätigt, Stichwort Filterblase.
Natürlich wurden - um beim Beispiel Trump zu bleiben - zahlreiche seiner Lügen von den US-Medien aufgedeckt (woher sollte ich es auch sonst wissen), es hat nur sehr wenig Unterschied gemacht.
Das macht das Postfaktische aus: Es wird noch mehr gelogen als früher, aber es macht immer weniger Unterschied, wenn die Lüge aufgedeckt wird, es wird weiterhin darin beharrt.
Die Lüge entscheidet. Die Lüge gewinnt.
Gelogen wird nicht nur bei den Lösungen, sondern vor allem bei den Problemen.
Wir sahen das bei Trump, wir sahen das beim Brexit, wir sahen das bei der polnischen Präsidentenwahl (vermutlich auch bei der polnischen Sejm-Wahl und bei den Wahlen in Ungarn, das habe ich aber nicht genau genug verfolgt), wir sehen es derzeit bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl und in geringeren Dosen aber immer wieder vor allem bei der FPÖ. Die Liste an Beispiel wird sich noch lange fortsetzen lassen und sie wird auch fortgesetzt werden.
Der Rechtspopulismus, der offensichtlich weltweit auf dem Vormarsch ist, hat schon an vielen Schauplätzen das Postfaktische umarmt, und wird es wohl weiter tun.
Noch ein paar Links zum Thema:
http://derstandard.at/2000029593722/Die ... ben-lassen - interne Diskussion in der Redaktion des Standards, die dieser veröffentlicht hat, wo es ua eben um den Einfluss von sozialden Medien und den Vertrauensverlust der LeserInnen geht.
https://m.facebook.com/notes/armin-wolf ... 068863158/ - eine von Armin Wolf niedergeschriebene Rede zum Thema "Unterhaltungsjournalismus" und den Herausforderungen des seriösen Journalismus.
viewtopic.php?f=2&t=33&p=8492#p8492 - Ich beschäftige mich mit einem politischen Claim, den ich retrospektiv auch schon als postfaktisch einstufen muss
viewtopic.php?f=2&t=36&p=7439&hilit=min ... rung#p7439, viewtopic.php?f=2&t=106&p=7430#p7430 - 2 Zusammenfassungen von ORF.at-Artikeln, wo diese einigen über soziale Medien verbreiteten Lügen auf den Grund gegangen sind. Zeigt auch sehr schön, wie schnell irgendeine Lüge auf FB & Co verfasst und verbreitet ist, und wieviel Mühe es macht, zu belgen, dass es eine Lüge ist - vor allem aber, dass auch das nicht viel bringt.
http://derstandard.at/2000047614625/Pfl ... cher-Hofer - ein ganz rezentes Verhalten von #bpw16 Kandidat Hofer, der auch hier frech und wohl wider besseren Wissens lügt und sich in der Sicherheit wiegt, dass es egal ist, dass man ihn schon beim Lügen erwischt hat.
Was meine ich überhaupt damit?
Kurz gesagt, dass tatsächliche Fakten (Anm: im Erstentwurf habe ich mich vertippt und Faken geschrieben - ich hätte es fast dabei belassen) auf den Ausgang einer Wahl nur noch einen vernachlässigbaren Einfluss haben, entscheiden tun Gefühle und wer diese - zumeist mit Lügen, egal wie offensichtlich diese sind - anspricht.
Am Offensichtlichsten zeigt dies der Wahlsieg von Donald J. Trump bei den US Presidential Elections 2016 gegeben: Trump hat nicht nur einen rassistischen Wahlkampf geführt und ist mit Misogynie und Ahnungslosigkeit aufgefallen, er hat sich dabei auch von der Wirklichkeit nicht im Ansatz irritieren lassen. Es gibt zahlreiche Fälle, wo er irgendwas leugnet, dass er noch wenige Wochen vorher gesagt hat, aber so auf die Schnelle erinnere ich mich an 2 Beispiele, die ich jetzt frei ins Deutsche übersetze:
1. Rudy Giuliani, früher Bürgermeister von NY und jetzt einer von Trumps Beratern, sagt in einem Interview, die Amerikaner fühlen sich nicht sicher. Der Interviewer fragt ihn, wieso denn das, die Kriminalitätsrate sinkt ja seit Jahren, und er geht da gar nicht drauf ein, sondern sagt "Sie fühlen sich nicht sicher".
2. Trump hat irgendwann im Wahlkampf einen Statistik gezeigt, nach der über 80% der Weißen, die in den USA ermordert werden, von Schwarzen ermordet werden (Stichwort Rassismus). In einem Interview hält man ihm vor, dass die Zahl eine reine Erfindung ist, weil in Wahrheit sind es nur 15%. Trump ist das egal, er sagt nur, soll er etwa alles überprüfen? Da hält ihm der Interviewer vor - und der war von Fox, also von einem äußerst republikaner-freundlichen Sender - dass er genau das tun muss, denn schließlich will er Präsident werden. Er sag nur, er hat's halt im Radio gehört und damit ist das Thema für ihn erledigt.
Jetzt juckt es sicher so manchen Leser & -innen in den Fingern zu posten, was ist daran neu, Politiker haben immer schon gelogen, und Trump ist halt nur besonders unverschämt und trotzdem erfolgreich.
Das stimmt natürlich, und es ist ja nicht so, dass dieses Phänomen, welches ich jetzt großspurig Zeitalter nenne, mit Glockenschlag 12 Uhr begonnen hat.
Was aber hat sich - langsam, aber stetig - geändert?
Zum Einen das Ausmaß und die Unverschämtheit der Lügen - sind es nur einzelne und basiert die halbe Kampagne darauf? Sind sie offensichtlich oder bedarf es einiger Recherche, sie aufzudecken?
Dann natürlich, wie reagiert wird, wenn man erwischt wird - macht man einen Rückzieher oder, wie jetzt, beharrt weiter drauf.
Dann die Rolle der Medien - die klassisschen Mainstreammedien, also vor allem (seriöse) Zeitungen und Fernsehsender - verlieren immer mehr an Einfluss. Es gibt Umfragen, die zeigen, wieviel ihrer Nachrichten Leute mittlerweile aus den sogenannten sozialen Medien bekommen, und dort kann nicht nur theoretisch jeder irgendwelchen Blödsinn verzapfen, es geschieht auch in großem Ausmaß (siehe Links weiter unten). Weil Alphabet, FB und Co die Nachrichten vorsortieren und dabei nicht nach "Qualität" (vulgo Wahrheitsgehalt) unterscheiden (können), bekommen Leute, die eine bestimmte Art von Themen mögen, immer mehr der selben vorgesetzt, egal ob's stimmt oder nicht und werden daher auch weiter in ihrer Meinung bestätigt, Stichwort Filterblase.
Natürlich wurden - um beim Beispiel Trump zu bleiben - zahlreiche seiner Lügen von den US-Medien aufgedeckt (woher sollte ich es auch sonst wissen), es hat nur sehr wenig Unterschied gemacht.
Das macht das Postfaktische aus: Es wird noch mehr gelogen als früher, aber es macht immer weniger Unterschied, wenn die Lüge aufgedeckt wird, es wird weiterhin darin beharrt.
Die Lüge entscheidet. Die Lüge gewinnt.
Gelogen wird nicht nur bei den Lösungen, sondern vor allem bei den Problemen.
Wir sahen das bei Trump, wir sahen das beim Brexit, wir sahen das bei der polnischen Präsidentenwahl (vermutlich auch bei der polnischen Sejm-Wahl und bei den Wahlen in Ungarn, das habe ich aber nicht genau genug verfolgt), wir sehen es derzeit bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl und in geringeren Dosen aber immer wieder vor allem bei der FPÖ. Die Liste an Beispiel wird sich noch lange fortsetzen lassen und sie wird auch fortgesetzt werden.
Der Rechtspopulismus, der offensichtlich weltweit auf dem Vormarsch ist, hat schon an vielen Schauplätzen das Postfaktische umarmt, und wird es wohl weiter tun.
Noch ein paar Links zum Thema:
http://derstandard.at/2000029593722/Die ... ben-lassen - interne Diskussion in der Redaktion des Standards, die dieser veröffentlicht hat, wo es ua eben um den Einfluss von sozialden Medien und den Vertrauensverlust der LeserInnen geht.
https://m.facebook.com/notes/armin-wolf ... 068863158/ - eine von Armin Wolf niedergeschriebene Rede zum Thema "Unterhaltungsjournalismus" und den Herausforderungen des seriösen Journalismus.
viewtopic.php?f=2&t=33&p=8492#p8492 - Ich beschäftige mich mit einem politischen Claim, den ich retrospektiv auch schon als postfaktisch einstufen muss
viewtopic.php?f=2&t=36&p=7439&hilit=min ... rung#p7439, viewtopic.php?f=2&t=106&p=7430#p7430 - 2 Zusammenfassungen von ORF.at-Artikeln, wo diese einigen über soziale Medien verbreiteten Lügen auf den Grund gegangen sind. Zeigt auch sehr schön, wie schnell irgendeine Lüge auf FB & Co verfasst und verbreitet ist, und wieviel Mühe es macht, zu belgen, dass es eine Lüge ist - vor allem aber, dass auch das nicht viel bringt.
http://derstandard.at/2000047614625/Pfl ... cher-Hofer - ein ganz rezentes Verhalten von #bpw16 Kandidat Hofer, der auch hier frech und wohl wider besseren Wissens lügt und sich in der Sicherheit wiegt, dass es egal ist, dass man ihn schon beim Lügen erwischt hat.