https://www.zeit.de/amp/politik/ausland ... tive-achse
Ich darf ersuchen und empfehlen, den Artikel zur Gänze bei der Zeit zu lesen.
Sollte er aber mal hinter einer Bezahlschranke odgl verschwinden, so erlaube ich mir doch ein paar Auszüge daraus zu zitieren, es wäre interessant zu wissen, ob sich Strolz Prognosen als kassandrisch erweisen werden.
Man müsste meinen, jeder einzelne dieser Sachverhalte [Brexit, Flüchtlingskrisen, Demokratieabbau etc] wäre dringlich genug, damit Europa endlich erwachsen wird. Eine gute Familie reagiert auf Bedrohungen von außen mit Zusammenhalt. Sie antwortet auf Krisen in der Nachbarschaft gemeinsam und entschlossen. Doch nicht unsere Familie. Die bislang stärkste Stimme im Familienverband steht mit dem Rücken zur Wand. Angela Merkel kann die EU offensichtlich nicht mehr führen. Sie hat nicht mehr die Kraft, Gemeinsamkeit herzustellen. Doch auch der neue Protagonist für mehr europäische Gemeinsamkeit, Emmanuel Macron, wirkt derzeit zu unsortiert, als dass er entsprechende Allianzen formen könnte. Zudem hat er als französischer Regierungschef alle Hände voll zu tun.
Als Liberalen kommt Strolz hier sicherlich nochmal doppelt so stark das Kotzen.Es ist also die Stunde seiner Antagonisten. Sie heißen Viktor Orbán, Sebastian Kurz, Matteo Salvini, Horst Seehofer. Sie haben keine Vision für Europa, aber sie haben Lust auf Macht. Sie sind professionell und kaltschnäuzig. Eloquent und hemmungslos.
Intellektuelle Redlichkeit empfinden diese Herren eher als Bremsklotz, die aktuellen und potentiellen Empfindungen des Volkes sind der Maßstab. Ihr Leitfrage: Wo lässt sich emotionalisieren, polarisieren und davon profitieren? So forderte Matteo Salvini, der neue starke Mann Italiens, einst die Rassentrennung für öffentliche Verkehrsmittel. Den Euro hält er für "eine kriminelle Währung". Viktor Orbán fordert das Ende der liberalen Demokratie und will sie durch eine illiberale Demokratie ersetzen, die er als "christlich" verkauft. Ein "Pfad der Tugend", dem sich auch die CSU anschließen will
Solche Dinge passieren nicht, weil Orbán oder der CSU das Kreuz wichtig wäre. Solche Dinge passieren, weil sie funktionieren. Es geht um Effektivität. Es ist eine seelenlose Politik, die diese Leute betreiben. Sie haben kein inhaltliches Anliegen, sie wollen die Macht – gewinnen, erhalten, ausbauen.
Natürlich braucht jeder Politiker und jede Politikerin ein gesundes Machtbewusstsein. Das ist Teil der Berufsqualifikation. Doch dazu müssten ein innerer moralischer Kompass und eine inhaltliche Überzeugung kommen, die verhindern, dass allein der Wille zur Macht das Handeln bestimmt – und mittelfristig korrumpiert. Das aber, den moralischen Kompass und die inhaltlichen Überzeugungen, kann ich bei den neuen nationalkonservativen Populisten nicht erkennen. Sie sind frei von diesen Bremskräften und deswegen so zügig unterwegs. Sie sind Opportunisten der Macht.
Scheint so, als als bewundert er Kurz in Wahrheit.Ich zweifle nicht an [Kurzens] großen polit-handwerklichen Fähigkeiten. Die sind außergewöhnlich. Ich zweifle an seiner inhaltlichen Vision. Er hat keine. Er wurde Bundeskanzler, weil er erkannt hatte, dass er Bundeskanzler werden kann.
Dieses politische Geschäftsmodell überträgt Sebastian Kurz nun auf die europäische Ebene. Die Heerschar an Opportunisten, die da gerne mitmachen, wird groß sein. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer [macht da gerne mit]
Es geht diesem hier besprochenen Typus von Politiker nicht um inhaltliche Ziele aus Überzeugung. Diese werden nur vorgetäuscht und benutzt. Viktor Orbán beispielsweise war einst ein liberaler Posterboy. Er wurde als solcher in ganz Europa hofiert und erfolgreich. Aber er war und ist bis heute nur vom Willen zur Macht angetrieben. Deswegen landete er bei der "illiberalen Demokratie" und zuletzt bei der "christlichen". Weil er es als effektiv erachtet. Wenn der Wind morgen dreht, dreht er mit. Kein inhaltlicher Preis zu hoch, kein Schwenk zu weit. Nur ist Orbán nicht ausreichend salonfähig, um die nationalkonservativen Populisten europaweit anzuführen. Sebastian Kurz ist es.
Die weltpolitische Bedeutungsamkeit - da kann ich nur mit Schopenhauer kommen:Aber wenn wir uns als Europäische Union nicht gemeinsam selbst definieren und organisieren, werden wir von anderen definiert und organisiert. Ein entzweites Europa wird noch stärker zum Spielball anderer Weltmächte werden. Über unsere Sicherheit, unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität werden wir nicht mehr selbst bestimmen. Salvinis Lega Nord und Straches FPÖ, immerhin Regierungsparteien in Österreich und Italien, haben bereits Freundschaftsverträge mit Putins "Einiges Russland" geschlossen. Sie genieren sich dafür nicht, und sie beweisen damit auch, wie es um ihre Loyalität zur Europäischen Union steht.
Unter der Führung nationalkonservativer Populisten würde die Europäische Union in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit taumeln.
Die weltpolitische Selbstachtung steht jetzt nicht primär auf dem Spiel - "illiberale Demokratie" ist ja nur ein Euphemismus, für ein demokratisches Mäntelchen mittels Beeinflussung der Zivilgesellschaft, durch Kontrolle der Medien und Vertreiben bzw Mundtotmachen von Kritikern uvm für eine Autokratie, im besten Fall eine Autokratie light, in der es noch eine unabhängige Justiz und Grundrechte für alle gibt. Aber ein paar der von Strolz erwähnten Politiker sägen ja auch schon daran.Die wohlfeilste Art des Stolzes ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt.
Jetzt ist die Demokratie bekanntlich die schlechteste Staatsform, mit Ausnahme jeder, die schon ausprobiert wurden.
Demokratie und EU haben zu einer langen Zeit des Frieden und des Wohlstands in West- bis zumindest Mitteleuropa geführt. Ich bin skeptisch, ob die "illiberale Demokratie" das erhalten kann. Ich fürchte, es wird wohl auf das alte FPÖ-Rezept hinauslaufen: Die Leute werden nicht merken, dass es ihnen etwas schlechter geht wenn es ihnen im globalen Vergleich immer noch recht gut geht und es dafür eine Gruppe gibt (Roma, Sinti, Migranten, Muslime etc) denen aktiv das Leben noch schwerer germacht wird.