Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

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Marktkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel in Österreich

Post by dejost »

Als Zielpunkt vor wenigen Jahren pleite ging, rückte die Konzentration am österreichischen Lebensmitteleinzelhandels-Markt wieder ins Blickfeld:
Etwa 85% hatten damals Spar, Rewe und Hofer.

Daran hat sich im Wesentlichen nichts geändert - Zielpunkt ist schon weg, dafür gibt es jetzt Lidl - die Top 5 haben 95% des Markts (Bei den Top 5 ist noch MPreis dabei, den gibt es eher im Westen, ich zumindest kenne keinen Standort).

Quelle zB https://derstandard.at/2000087553034/Ho ... um-Chancen

Was sich aus der Diskussion auch ergibt ist, dass für neue Marktteilnehmer kein Platz ist - im wörtlichen Sinne: In den Ballungsräumen gibt es alle paar 100m Spar- und Rewefilialen, die größeren Standorte zB am Rand der Ballungsräume und Orte sind schon Hofer und je nachdem Merkur oder Interspar etc. Lidl hat öfter mal seine Filialen einfach neben die vom Hofer gebaut, das heißt wer einsteigen will muss entweder sehr viel Geld in die Hand nehmen.

https://diepresse.com/home/wirtschaft/u ... nzelhandel
Die 100 umsatzstärksten Händler in Österreich erwirtschaften mit rund 36 Mrd. Euro mehr als die Hälfte (56 Prozent) des gesamten Einzelhandelsumsatzes. Die Top-10 kommen auf einen Anteil von mehr als einem Drittel des Gesamtvolumens. Dominiert wird die Branche vom Lebensmittelhandel.

Rewe (Billa, Merkur, Adeg, Penny), Spar, Hofer und Lidl sind die umsatzstärksten Einzelhandelsunternehmen in Österreich. Zusammen erwirtschafteten diese 2016 einen Bruttoumsatz von mehr als 18 Mrd. Euro. Die drei umsatzstärksten Einzelhandelsunternehmen stellen mehr als ein Viertel des gesamten Einzelhandelsumsatzes. Die umsatzstärksten Branchen nach dem Lebensmitteleinzelhandel sind der Möbelhandel, der Bekleidungshandel und Baumärkte, ergab eine Auswertung des Handelsverbandes.
Mehr dazu, ua Graphiken unter dem Presse-Link.

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Willkommen im freien Markt - Airline verklagt Fluggast, weil er billige Tickets gekauft hat

Post by dejost »

Willkommen im freien Markt - Airline verklagt Fluggast, weil er billige Tickets gekauft hat

Wenn einem ein Volkswirt vorrechnet, wie die freie Marktwirtschaft für alle am besten ist, dann geht das immer nur unter einigen Annahmen.
Eine ist perfekte Information (aller!) Marktteilnehmer.
Wenn aber der Konsument zur Abwechslung diese Information hat und anwendet, wird er vom Vertragspartner verklagt. In Deutschland.
Die erste Instanz hat es zwar abgewiesen, aber die Klägerin macht natürlich weiter.

https://futurezone.at/digital-life/hidd ... /400410689
Wer sich durch den Dschungel der Online-Flugpreise kämpft, wird feststellen, dass es riesige Unterschiede und nicht nachvollziehbare, starke Preisschwankungen gibt. Diese unterschiedlichen Preise machen sich Reisende offenbar immer mehr zunutze, um an günstigere Tickets zu kommen. Die deutsche Airline Lufthansa, geht jedenfalls nun gegen Kunden vor, die den so genannten "Hidden City-Hack" nutzen.

Bei diesem Diskont-Trick buchen Fluggäste nicht den teuren Flug zwischen zwei beliebten Städten.
Sondern eine längere Verbindung mit Umsteigen, das ist - wieso weiß vermutlich wieder nur der theoretisch perfekt infortmierte Marktteilnehmer - teilweise lächerlich billiger. Es wird aber nicht umgestiegen, sondern eben anderweitig weitergereist. Im Anlassfall hat der Kunde, der hier jetzt verklagt wird, über 2000 € gespart.
Das geht natürlich gar nicht im freien Markt, drum klagt die Lufthansa den Fluggast auf das Geld, welches er gespart hat. Das erstinstanzliche Gericht hat abgeweisen, Rechtsmittel folgten.

Ein Experte weist auch noch darauf hin, dass es für die Fluglinien sehr aufwändig ist, solche Gäste zu identifizieren. Die klagen also nur, um mittels Rechtsstaat Leuten Angst zu machen, die den freien Markt getreu dessen Regeln zum eigenen legalen Vorteil nutzen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Fluglinien dafür medial eines auf die Glocke kriegen - Kortz.at versucht hiemit, einen Beitrag dazu zu leisen.

PS: Sofern ich mich richtig erinnere, gibt es bei uns Ordnungsstrafen für böswillige Klagsführung (ob die hier vorliegt, weiß ich nicht, aber der Fuzo-Artikel weist sehr in diese Richtung).

harald
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by harald »

In Deutschland dürfte aufgrund eines früheren BGH Urteils zum Auslassen eines früheren Segments eine Unsicherheit entstanden sein, ob dieses BGH Urteil auch auf das letzte Segment anzuwenden ist.

Der Anwalt und Mandant zum gegenständlichen Verfahren geben immer wieder Einblicke ins Verfahren und zwar hier:

https://www.vielfliegertreff.de/lufthan ... hnung.html

User Kexbox ist der Anwalt und der Mandant gibt auch Infos von sich.

Dort erfährt man auch, dass die Lufthansa eine Klagsrücknahme der eigenen Klage versucht hat, der Gegner jedoch dieser Rücknahme nicht zugestimmt hat, weil er es ausjudiziert haben will.

Als Österreicher hat man zur Abwechslung mal einen Vorteil, hier ist die Rechtsfrage bereits anders entschieden, also gibt es hier offensichtlich mehr im Vielfliegerbereich versierte Richter:

https://verbraucherrecht.at/cms/index.p ... 4c724901da
--Harald
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dejost
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Immoblase, anyone?

Post by dejost »

House prices, including purchases of both new and existing houses and flats, have fluctuated significantly since 2006 with annual growth rates in the EU of around 8 % in 2006 and 2007, followed by a fall of 4 % in 2009 as a result of the financial crisis. Prices started growing again in 2014.

Overall, between 2010 and 2018, house prices grew in total by 15 % in the EU and by 11 % in the euro area. Among the Member States, the highest increases during this period were observed in Estonia (+83 %), Latvia (+61 %), Austria (+56 %), Sweden (+55 %) and Luxembourg (+50 %), and the largest decreases in Italy (-17 %), Spain (-12 %) and Cyprus (-8 %).
https://ec.europa.eu/eurostat/web/produ ... 20190619-1

Details zu Tirol:
https://tirol.orf.at/stories/3000994/

So gesehen ist dem sozialen Wohnbau und den Gemeindebauten zu danken, dass es in Wien noch nicht so schlimm ist wie in München. Und der schlechten Anbindung an den öffentlichen Verkehr im ländlichen Raum, dass dieser nur wesentlich weniger betroffen ist. So gesehen müssten Immomagnaten Parteien wählen, die mehr öffentlichen Verkehr am Land fordern. Und niemand außer Immomagnaten und Hausherren sollte Parteien wählen, die die Gemeindebauten privatisieren wollen.
Aber wie uns vor allem die rezentere Geschichte lehrt, es finden sich immer genug Leute, die gegen ihre eigenen Interessen wählen.

harald
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by harald »

Staatsanleihen sind dieser Tage beliebt wie nie zuvor.

Leider blickt fast niemand auf die Gefahren, die damit einhergehen. Dabei würde ein Blick auf die Entscheidungen des EuGH zeigen, dass Schuldenschnitte in bzw. nach einer Krise kommen und diese nicht lustig sind.

Hier in Fall, in dem ein Österreicher getroffen wurde, mit einem Betrag von knapp unter 30.000 € (ursprünglicher Nennwert 35.000 €). Der EuGH sagt, es liegt keine Zivil- und Handelssache vor, somit keine Klage in Österreich, wenn an der griechischen Börse gehandelte Anleihen aufgrund eines Gesetzes getauscht werden und diese einseitig und rückwirkend geändert werden. Es ging natürlich um griechische Anleihen.

C-308/17 vom 04.07.2018
Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass ein Rechtsstreit wie der des Ausgangsverfahrens, den eine natürliche Person, die von einem Mitgliedstaat begebene Anleihen erworben hatte, gegen diesen führt, wobei sich ihre Klage gegen den Austausch der genannten Anleihen gegen Anleihen mit einem niedrigeren Wert richtet, der ihr durch ein vom nationalen Gesetzgeber unter außergewöhnlichen Umständen erlassenes Gesetz auferlegt wurde, mit dem die Anleihebedingungen einseitig und rückwirkend geändert wurden, indem eine Umstrukturierungsklausel eingeführt wurde, die es der Mehrheit der Inhaber der betreffenden Anleihen ermöglicht, der Minderheit diesen Austausch aufzuzwingen, nicht unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.
Quelle: http://curia.europa.eu/juris/document/d ... id=4398542

:old :tw
--Harald
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harald
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by harald »

Überraschende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Der Binnenmarkt Motor stottert gewaltig.

Bei Leitsatz 2 ist bei mir die Kinnlade runtergefallen! :shock: :roll: :tw

Urteil vom 05. Mai 2020
2 BvR 859/15, 2 BvR 980/16, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 1651/15
Leitsätze

zum Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020

- 2 BvR 859/15 -

- 2 BvR 1651/15 -

- 2 BvR 2006/15 -

- 2 BvR 980/16 -

1. Stellt sich bei einer Ultra-vires- oder Identitätskontrolle die Frage nach der Gültigkeit oder Auslegung einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, so legt das Bundesverfassungsgericht seiner Prüfung grundsätzlich den Inhalt und die Beurteilung zugrunde, die die Maßnahme durch den Gerichtshof der Europäischen Union erhalten hat. (118)
2. Der mit der Funktionszuweisung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV verbundene Rechtsprechungsauftrag des Gerichtshofs der Europäischen Union endet dort, wo eine Auslegung der Verträge nicht mehr nachvollziehbar und daher objektiv willkürlich ist. Überschreitet der Gerichtshof diese Grenze, ist sein Handeln vom Mandat des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt, so dass seiner Entscheidung jedenfalls für Deutschland das gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG erforderliche Mindestmaß an demokratischer Legitimation fehlt. (112)
3. Bei der Berührung fundamentaler Belange der Mitgliedstaaten, wie dies bei der Auslegung der Verbandskompetenz der Europäischen Union und ihres demokratisch legitimierten Integrationsprogramms in der Regel der Fall ist, darf die gerichtliche Kontrolle die behaupteten Absichten der Europäischen Zentralbank nicht unbesehen übernehmen. (142)
4. Die Kombination eines weiten Ermessens des handelnden Organs und einer Begrenzung der gerichtlichen Kontrolldichte durch den Gerichtshof der Europäischen Union trägt dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung offensichtlich nicht hinreichend Rechnung und eröffnet den Weg zu einer kontinuierlichen Erosion mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten. (156)
5. Die Wahrung der kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union hat entscheidende Bedeutung für die Gewährleistung des demokratischen Prinzips. Die Finalität des Integrationsprogramms darf nicht dazu führen, dass das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung als eines der Fundamentalprinzipien der Europäischen Union faktisch außer Kraft gesetzt wird. (158)
6. a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten und die damit verbundene wertende Gesamtbetrachtung besitzen ein für das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Volkssouveränität erhebliches Gewicht. Ihre Missachtung ist geeignet, die kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union zu verschieben und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen. (158)
b) Die Verhältnismäßigkeit eines Programms zum Ankauf von Staatsanleihen setzt neben seiner Eignung zur Erreichung des angestrebten Ziels und seiner Erforderlichkeit voraus, dass das währungspolitische Ziel und die wirtschaftspolitischen Auswirkungen benannt, gewichtet und gegeneinander abgewogen werden. Die unbedingte Verfolgung des währungspolitischen Ziels unter Ausblendung der mit dem Programm verbundenen wirtschaftspolitischen Auswirkungen missachtet offensichtlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV. (165)
c) Dass das Europäische System der Zentralbanken keine Wirtschafts- und Sozialpolitik betreiben darf, schließt es nicht aus, unter dem Gesichtspunkt des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV die Auswirkungen zu erfassen, die ein Ankaufprogramm für Staatsanleihen etwa für die Staatsverschuldung, Sparguthaben, Altersvorsorge, Immobilienpreise, das Überleben wirtschaftlich nicht überlebensfähiger Unternehmen hat, und sie – im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung – zu dem angestrebten und erreichbaren währungspolitischen Ziel in Beziehung zu setzen. (139)
7. Ob ein Programm wie das PSPP eine offenkundige Umgehung von Art. 123 Abs. 1 AEUV darstellt, entscheidet sich jedoch nicht an der Einhaltung eines einzelnen Kriteriums, sondern nur auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung. Vor allem die Ankaufobergrenze von 33 % und die Verteilung der Ankäufe nach dem Kapitalschlüssel der Europäischen Zentralbank verhindern, dass unter dem PSPP selektive Maßnahmen zugunsten einzelner Mitgliedstaaten getroffen werden und dass das Eurosystem zum Mehrheitsgläubiger eines Mitgliedstaats wird. (217)
8. Eine (nachträgliche) Änderung der Risikoverteilung für die unter dem PSPP erworbenen Staatsanleihen würde die Grenzen der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren und wäre mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbar. Sie stellte in der Sache eine vom Grundgesetz verbotene Haftungsübernahme für Willensentscheidungen Dritter mit schwer kalkulierbaren Folgen dar. (227)
9. Bundesregierung und Bundestag sind aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die Europäische Zentralbank hinzuwirken. Sie müssen ihre Rechtsauffassung gegenüber der Europäischen Zentralbank deutlich machen oder auf sonstige Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände sorgen. (232)
10. Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte dürfen weder am Zustandekommen noch an Umsetzung, Vollziehung oder Operationalisierung von Ultra-vires-Akten mitwirken. Das gilt grundsätzlich auch für die Bundesbank. (234)
Quelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 85915.html
Urteil zu EZB-Anleihenkauf
Deutsches Höchstgericht stellt sich gegen EuGH

Ein Urteil mit möglicherweise weitreichenden Folgen für die Europäische Union hat das deutsche Höchstgericht in Karlsruhe gefällt: Erstmals stellte sich das Bundesverfassungsgericht – in Teilen – gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Konkret geht es um den Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB), mit dem seit Jahren vor allem die Wirtschaft in den schwer verschuldeten Staaten der Euro-Zone gestützt wird. Diese Kaufprogramme verstoßen teilweise gegen das deutsche Grundgesetz, weil die deutsche Regierung und der Bundestag die EZB-Beschlüsse nicht geprüft haben. Dieses Urteil verkündete das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag.

Mit dem Urteil, das Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle verkündete, hatten Verfassungsbeschwerden teilweise Erfolg. Der Bundesbank ist es untersagt, nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten an der Umsetzung des EZB-Anleihekaufprogramms mitzuwirken, sofern der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nicht nachvollziehbar darlegt, dass das Programm verhältnismäßig ist, heißt es in dem Urteil.

Bundesbank mit zentraler Rolle
Sollte sich im Gefolge des Urteils die Bundesbank tatsächlich nicht mehr an den EZB-Programmen beteiligen, hätte das weitreichende Folgen für die EZB und die Wirtschaft der Euro-Zone, die aktuell damit kämpft, dass wegen der Coronavirus-Pandemie die größte Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs droht.

Denn die Bundesbank ist – aufgrund der deutschen Wirtschaftsleistung – der größte Teilhaber der EZB und ist damit jene Nationalbank, die den größten Beitrag zum Kaufprogramm leistet. Das Gesamtvolumen der Käufe liegt derzeit jenseits von 2,2 Billionen Euro und wird angesichts der Wirtschaftskrise noch deutlich steigen.

„Zum Entgegentreten verpflichtet“
„Bundesregierung und Deutscher Bundestag sind aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, der bisherigen Handhabung der PSPP (EZB-Kaufprogramm, Anm.) entgegenzutreten“, heißt es in dem Urteil. Außerdem erklärte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil des EuGH vom Dezember 2018 zum Kaufprogramm der EZB für willkürlich und damit für das Bundesverfassungsgericht nicht bindend. Der EuGH hatte das EZB-Programm in allen Punkten gebilligt.

Die Entscheidung des EuGH sei „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“, hieß es in der Karlsruher Entscheidung. Das deutsche Gericht erklärte damit das EuGH-Urteil im juridischen Sinne für willkürlich. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich das Bundesverfassungsgericht nicht mehr an EuGH-Entscheide gebunden fühlen muss. Über den aktuellen Anlass hinaus dürfte das Urteil langfristig Folgen haben: Die Autorität des EuGH ist damit angekratzt. Es drohe nun, wie die „Süddeutsche Zeitung“ betont, „ein Konflikt um Entscheidungsbefugnisse auf europäischer Ebene“.

Keine unüberwindliche Hürde für EZB
Was das Anleihekaufprogramm angeht, sind sich Ökonomen einig, dass dieses trotz des Urteils fortgesetzt werden kann. Auch wenn der Spruch durchaus „Sprengstoff beinhaltet“, so etwa Uwe Burkert von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Ein Ausweg könnte sein, dass die EZB ihre Beschlüsse und insbesondere ihre Verhältnismäßigkeit klarer und transparenter begründet, betonten mehrere Fachleute gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Klage von Gauweiler und AfD-Gründer Lucke
Beschwerdeführer waren unter anderen der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler und AfD-Gründer Bernd Lucke. Das Urteil erging mit sieben zu einer Stimme. Die EZB hatte das Programm 2015 aufgelegt, um die Märkte mit Geld zu versorgen und eine Inflationsrate von etwas unter zwei Prozent zu erreichen. Das Programm wurde mehrfach verlängert und läuft derzeit weiter.

Keine verdeckte Staatsfinanzierung
Kritiker halten das Vorgehen der EZB für eine versteckte Staatsfinanzierung von verschuldeten Euro-Staaten. In diesem Punkt hatten die Verfassungsbeschwerden allerdings keinen Erfolg. Die aktuellen Hilfen im Zuge der Coronavirus-Krise waren nicht Gegenstand der Entscheidung. Allerdings sind auch hier Anleihekaufprogramme geplant, die nun auch fraglich sind.
Quelle: https://orf.at/stories/3164446/

Ein perfektes Beispiel, wie Polen und Ungarn ihren nationalistischen Kurs vorantreiben können, Ungarn hat ja schon angekündigt, in einem anderen Vertragsverletzungsverfahren das Verfassungsgericht zu befassen.
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harald
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by harald »

Ui, es kommen spannende Zeiten auf uns zu:
EZB-Urteil: Verfahren gegen Deutschland möglich

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen prüft wegen des jüngsten Verfassungsgerichtsurteils zur Europäischen Zentralbank ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Das geht aus einem Brief von der Leyens an den Grünen-Europapolitiker Sven Giegold hervor, der der dpa vorliegt.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte diese Woche die milliardenschweren Staatsanleihenkäufe der EZB beanstandet und sich damit erstmals gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gestellt. Giegold hatte die EU-Kommission deshalb aufgefordert, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

EU prüft weitere Schritte
Von der Leyen bekräftigte daraufhin, das deutsche Urteil werde derzeit genau analysiert. „Auf der Basis dieser Erkenntnisse prüfen wir mögliche nächste Schritte bis hin zu einem Vertragsverletzungsverfahren“, schrieb die Kommissionschefin an Giegold.

Das Urteil des Verfassungsgerichts werfe Fragen auf, die den Kern der europäischen Souveränität berührten, heißt es in dem Schreiben weiter. Die Währungspolitik der Union sei in ihrer ausschließlichen Zuständigkeit. EU-Recht habe Vorrang vor nationalem Recht, und Urteile des EuGH seien für alle nationalen Gerichte bindend.

„Das letzte Wort zum EU-Recht hat immer der Europäische Gerichtshof in Luxemburg“, schrieb von der Leyen. „Ich nehme diese Sache sehr ernst.“ Die EU sei eine Werte- und Rechtsgemeinschaft, die die EU-Kommission jederzeit wahren und verteidigen werde.
Quelle: https://orf.at/stories/3165045/
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harald
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by harald »

Laudamotion war juristisch spannend, als AirBerlin in Insolvenz ging und auch zuerst ein Gericht in Deutschland zuständig sah und genauso ein österreichisches Gericht. Ein positiver Kompetenzkonflikt ist selten. Es wurde dann in Österreich die Insolvenz abgewickelt und Laudamotion von Ryanair übernommen.

Seitdem gab es immer wieder negative Nachrichten.
Austro Control stellt Laudamotion unter erhöhte Aufsicht

Die österreichische Ryanair-Tochter Laudamotion ist von der Luftfahrtaufsichtsbehörde Austro Control unter „erhöhte Aufsicht“ gestellt worden. Dabei handle es sich um eine „außergewöhnliche Maßnahme, die nicht oft vorkommt“, sagte Austro-Control-Sprecher Markus Pohanka gestern. Er bestätigte damit einen entsprechenden Bericht des Luftfahrtportals Austrian Wings.

„Mängel in der Organisation“
Im Zuge einer Überprüfung bei der Billigfluglinie im Wartungsbetrieb seien „Mängel in der Organisation“ festgestellt worden, die eine „umgehende Verbesserung“ erforderten, berichtete der Austro-Control-Sprecher. Die „erhöhte Aufsicht“ bedeute im Grunde, dass man nun „ein genaues Auge auf die Erfüllung aller Auflagen“ haben werde, erklärte er. Allerdings handle es sich bei den beanstandeten Bereichen „nicht um Sicherheitsrelevantes“ – „der Flugbetrieb ist jedenfalls sicher“, unterstrich Pohanka.

Austrian Wings hatte berichtet, dass der Airbus A320 der Laudamotion am Montag der Vorwoche in Dublin aufgrund technischer Probleme am Boden bleiben musste. Das auf Luftfahrtszwischenfälle spezialisierte Portal Aviation Herald hatte nähere Details des Fluges von Wien in die irische Hauptstadt berichtet: Zuerst habe es Probleme mit dem Funk gegeben, dann seien während des Fluges zweimal übel riechende Dämpfe („fume events“) aufgetreten. Eine Passagierin fiel in Ohnmacht, das Kabinenpersonal klagte über Unwohlsein und Kopfweh. Das Flugzeug musste nach der Landung 54 Stunden lang am Boden bleiben, bevor es wieder nach Wien zurückfliegen konnte.
https://orf.at/stories/3146222/

Man sah also das Ende schon vor der Covid19 Pandemie nahen.

Jetzt besiegelt es die Gewerkschaft:
AMS ZEIGT SOZIALBETRUG AN
411 Euro unter der Armutsgrenze: Neue Löhne bei Laudamotion

411 Euro unter der Armutsgrenze, so tief soll das neue Gehalt für Laudamotion-Mitarbeiter liegen. Konkret sind es 848 Euro netto, für 40 Stunden inklusive Überstunden – das sieht der neue Kollektivertrag vor, geht es nach Konzernchef und Ryanair-Boss Michael O’Leary, der Anteile an der Laudamotion hält. Rasche Zustimmung dazu kam von der österreichischen Wirtschaftskammer. Die Gewerkschaft reagiert entsetzt: Sogar das Trinkwasser müssten die Angestellten während ihrer Dienstzeit dem Arbeitgeber abkaufen. Grund für den neuen Kollektivvertrag sei laut Laudamotion die 'schlechte Wirtschaftslage'. Übrigens: Der Mutterkonzern Ryanair machte letztes Jahr einen Gewinn von 885 Millionen Euro.

ÖSTERREICH. Die Billigfluglinie Laudamotion droht, alle 300 Arbeitsplätze am Flughafen Wien zu streichen sowie den Stadtort aufzulassen, wenn die Gewerkschaft nicht einem Gehaltsminus von rund 30 Prozent zustimmt, einem Lohn, der deutlich unter der Armutsgrenze liegt. Grund dafür: Die wirtschaftliche Situation sei so schlecht, dass ansonsten nicht weitergemacht werden könne, behauptet der Konzern. Der Mutterkonzern Ryanair machte letztes Jahr einen Gewinn von 885 Millionen Euro und bezahlte seinen CEO Michael O’Leary ein Gehalt von 99 Millionen Euro.

Gehalt liegt unter Mindestsicherung
Der neue Kollektivvertrag, den der Konzern den Mitarbeitern zu Unterschrift vorlegt, sieht so aus: Flugbegleiterinnen sollen ein netto Basisgehalt von 848 Euro bekommen, das ist deutlich unter der Wiener Mindestsicherung, die bei 917 Euro liegt. Und es ist noch deutlicher unter der aktuellen Armutsgefährdungsschwelle von 1.259 Euro im Monat. Der Konzern fordert die Zustimmung bis zum 21. Mai, sonst werden alle Jobs gestrichen. Im Basisgehalt von 1.000 Euro brutto seien bereits alle Überstunden sowie die Zulagen für Schichtarbeit, Nachtarbeit und Feiertage enthalten. Für jede Stunde, die man in der Luft verbringt, bekommt man 9 Euro zusätzlich. Bei maximaler Auslastung würde das bedeuten, dass das Gehalt etwa 1.500 Euro brutto pro Monat beträgt. Doch das bedeutet, die Flugbegleiter dürfen keine Flugstunden verlieren, und sind auch bei Krankheit finanziell unter Druck, trotzdem arbeiten zu gehen. Weiters müssen die Stewards und Stewardessen laut Kollektivvertrag auch für Ersatzteile der Uniform und Trinkwasser während des Fluges selbst aufkommen. Laut Kontrats haben es Mitarbeiter, der zwei Jahre bei Laudamotion gearbeitet haben, ein bisschen besser: "Man bekommt 28,50 „Kostenersatz“ um das alles zu bezahlen. Wer die Preise für Getränke in einem Flugzeug kennt, weiß: Viele Wasserflaschen kann man sich damit nicht leisten", schreibt Kontrast.

"Kündigung bei Krankenstand"
Die Arbeiterkammer Niederösterreich reagiert empört und ortet skandalösen Machenschaften bei Laudamotion. In einer Aussendung berichten sie von skandalösen Zustände, die Mitarbeiter von Laudamotion gegenüber der AK Niederösterreich schildern. „Seit der Übernahme durch Ryanair-Chef O´ Leary klagen Kollegen aus dem Kabinen- und Cockpitbereich über Drangsalierungen, psychischen Dauerdruck und sicherheitsgefährdende Einsparungen. So würden Techniker seit Monaten systematisch unter Druck gesetzt, um ihr OK für die Flugtauglichkeit von Fliegern zu geben, um damit notwendige teurere Service-Wartungen zu umgehen. Weiters berichten die Mitarbeiter, dass Kollegen sich für jeden Tag Krankenstand per Rapport rechtfertigen müssten. Ihnen würde mit Kündigung beim nächsten Krankenstand gedroht, was dazu führt, dass viele Mitarbeiter krank weiterarbeiten würden. Auch gibt es Berichte von Mitarbeitern, dass Zwangsimpfungen seitens der Airline vertraglich festgelegt würden“, sagt AK Niederösterreich Präsident und ÖGB Niederösterreich Vorsitzender Markus Wieser. „Diesen Machenschaften von Lohn- und Sozialdumping, rechts- und sittenwidrige Verträgen sowie Gefährdung der Sicherheit gehört das Handwerk gelegt“, so Wieser angesichts der neuen Drohungen von Ryanair, die Basis in Wien zu schließen.

AMS zeigt Lauda wegen Lohn- und Sozialbetrug an
Das Arbeitsmarktservice Niederösterreich erstattete am Mittwoch bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha eine Anzeige wegen des Verdachts auf Lohn- und Sozialdumping, schreibt die Tageszeitung „Kurier“. Das AMS soll überprüft haben, ob die Fluggesellschaft Lauda 89 gekündigte Mitarbeiter tatsächlich per Ende März abgemeldet hat. Dies soll von der Österreichischen Gesundheitskasse (vormals NÖGKK) bestätigt worden sein, schreibt AviationNetOnline. Das AMS soll in einem behördlichen Ermittlungsverfahren zum Schluss gekommen sein, dass die Airline die gesetzlich notwendige Anmeldung zum Frühwarnsystem des Arbeitsmarktservice („Massenkündigung“) genauso wenig durchgeführt hat wie die aus der Sicht des Arbeitsamts notwendige Information an den Betriebsrat."Unterm Strich soll nun stehen, dass die Kündigung der 89 Lauda-Mitarbeiter nichtig ist und damit das Unternehmen weiterhin für die Löhne und Sozialabgaben sowie Steuern aufkommen muss", schreibt AviationNetOnline.

Wirtschaftskammer segnet Lohndumping ab
"Wir haben in der derzeitigen Situation nur die Wahl, nämlich eine Entscheidung für Jobs am heimischen Flugstandort zu treffen. Und wir haben eine Verantwortung, nämlich Jobs zu sichern, in Zeiten, in denen der Arbeitsmarkt aufgrund der Corona-Krise unter Druck ist. Die Alternative wäre, die Basis Wien aufzugeben“, sagte heute, Dienstag, der Geschäftsführer der Berufsgruppe Luftfahrt in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Manfred Handerek. Die Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Laudamotion hat die Bedingungen des neuen Kollektivvertrages akzeptiert „im Wissen, dass andernfalls der absolute Jobverlust droht“.

Gewerkschaft übt scharfe Kritik
Die Ryanair-Tochter Laudamotion hat der Gewerkschaft vida noch ein Ultimatum gestellt. Sie soll binnen 24 Stunden dem Kollektivvertrag zustimmen. Doch die Gewerkschaft hält den Kollektivvertrags in Teilen für gesetzeswidrig und sicherheitsgefährdend, weiters würde er Menschen in die Armut führen.

„Die Wirtschaftskammer und Ryanair sind die Totengräber von Löhnen, von denen man leben kann“, kritisiert Daniel Liebhart, Vorsitzender des Fachbereichs Luftfahrt in der Gewerkschaft vida.
Laut Gewerkschaft würden die Mitarbeiter nach dem neuen Kollektivvertrag weniger bekommen als in der Kurzarbeit. „Durch das Corona-Grounding der Airlines – Ende und Wiedererreichung eines Vollbetriebs der Airlines ist derzeit nicht absehbar – besteht aber keine Chance, variable Gehaltsbestandteile zu erreichen. Es ist deshalb völlig unverständlich, warum das Unternehmen das Mittel der Corona-Kurzarbeit nicht weiter in Anspruch nehmen will.“ Laut Horizont wäre die Corona-Kurzarbeit für Laudamotion eigentlich noch bis September möglich – der neue Kollektivvertrag soll ab Juli gelten.
https://www.meinbezirk.at/c-lokales/411 ... n_a4076412

Also grundsätzlich sehe ich die Erhaltung von Arbeitsplätzen in einer Zeit, in der man auf die Schnelle keine neue Arbeit findet, als Idee ganz gut. Jedoch täte auch die WKÖ gut daran, sich von Firmen, die das Rechtssystem zu überschreiten scheinen, zu distanzieren. Denn, um die Piloten, die arbeitslos werden, mache ich mir langfristig weniger Sorgen, die werden nach einiger Zeit eine neue Stelle finden. Insofern kann ich den Ansatz der Gewerkschaft verstehen, die die Zustimmung nicht erteilt, weil sie die schwächeren Flugbegleiter schützt.
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

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Ryanair sucht seit über einer Woche Ersatzpersonal für Lauda in Wien
Stellenausschreibungen seit 13. Mai, noch vor Ablauf des Ultimatums an die Gewerkschaft am 21. Mai – Ryanair hält Kontakt mit Piloten für die Zukunft

Wien – Mit ihrem "größtem Bedauern" mussten die Chefs der Laudamotion ihren Mitarbeitern jüngst die anstehende Schließung der Niederlassung in Wien mitteilen, trotz "größter Anstrengung" sei die Rettung nicht gelungen, die 300 Mitarbeiter müssten zur Kündigung angemeldet werden. Während die Chefs der Tochter der irischen Billigairline Ryanair, Andreas Gruber und David O'Brien, noch dabei waren, die Schuld in Richtung "AUA-Gewerkschaft Vida" zu weisen (die Gewerkschaft weigert sich, den von Laudamotion vorgeschlagenen und von der Wirtschaftskammer akzeptierten Kollektivvertrag zu unterschreiben) und während das Ultimatum dafür noch lief, war die Suche nach Ersatzmitarbeitern andernorts längst im Gange. In Österreich habe auch Finanzminister Gernot Blümel "keinen Finger gekrümmt", so Gruber und O'Brien, in ihrem Schreiben an die Mitarbeiter, während er für die AUA ein 800-Millionen-Hilfspaket verhandle.

Onlinesuche nach Crews

Schon am 13. Mai haben aber offenbar Personalberater begonnen, nach billigeren Ersatzmitarbeitern für die 300 Leute in Wien zu suchen. Mit im Internet geschalteten Inseraten wird nach Kapitänen, Ersten Offizieren und Copiloten gefahndet, die Bewerbungsfrist läuft bis 10. Juni. Auftraggeber für die Inserate sei eine der führenden Fluglinien Europas, die erfahrene Crews suche, heißt es in den Inseraten. Ausgeschrieben sind Vollzeitjobs, als Standort der Crews werden in den Inseraten Spanien und das Vereinigte Königreich genannt.

Woher man weiß, dass die Gesuchten die Gefeuerten in Wien ersetzen sollen? Als Fluggerät wird der Airbus A 320 angegeben – und den gibt es Ryanair-konzernweit nur bei Laudamotion in Wien, sonst ist Ryanair mit Boeing unterwegs. Geflogen werden soll ab Winterflugplan 2020, heißt es in den Stellenausschreibungen weiter.

Fliegen, ein Traum

Die Agentur namens Nobox HR Outsourcing Solutions hat schon in der Vergangenheit Kabinenpersonal für Laudamotion in Wien gesucht, im vorigen Juli hat Nobox beispielsweise in Wien, Stuttgart oder Barcelona zu "Cabin Crew Recruitment Days" eingeladen. Für all jene, deren "Traum schon immer das Fliegen war".

Näheres zu den künftigen Personal- und Anwerbungsplänen erschließt sich aus einem Posting vom Personalchef der Ryanair, Mark Duffy, das der angesichts des Corona-bedingten Groundings der Airlines schon vor etlichen Wochen online gestellt hat. Das Unternehmen habe sich entschlossen, eine Gruppe namens "Zukunftspiloten der Ryanair" aufzustellen. Da sollen sich Leute zum Mitmachen ermutigt fühlen, die sich vorstellen können, berufsmäßig an Bord der Ryanair anzudocken.

Zukunftspiloten

Die Gruppe sei aber nur für den "direkten" Einstieg von erfahrenen Flugzeug-Crew-Mitarbeitern, Piloten in Ausbildung oder Studenten offen, die Karriere in der Luftfahrt machen wollen. Ziel der Gruppe Zukunftspiloten: der direkte Link zum Team und der Zugang zu allen Informationen und Neuigkeiten der Airlinebranche "in dieser beispiellosen Zeit", so der Personalchef der Airline.

In Wien haben (auch) die Piloten keine Zukunft, alle 300 Mitarbeiter sollen beim AMS zur Kündigung angemeldet werden. Sie sind derzeit in Kurzarbeit, normalerweise gibt es danach eine Kündigungssperre von einem Monat. Die Vida lasse sich nicht erpressen und werde "keinen KV unterzeichnen, der mit 848 Euro Netto-Einstiegsgehalt für FlugbegleiterInnen klar unter der Mindestsicherung in Wien (917 Euro) und noch deutlicher unter der aktuellen Armutsgefährdungsschwelle 2019 von 1.259 Euro im Monat für eine Person liegt", lautet die Stellungnahme von Daniel Liebhart, dem Vorsitzender des Fachbereichs Luftfahrt in der Gewerkschaft Vida. Man sei aber zu weiteren Gesprächen bereit, "unsere Hand bleibt ausgestreckt", so Liebhart am Freitag.
Quelle: https://www.derstandard.at/story/200011 ... r-lauda-in
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harald
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by harald »

Meinl Bank alias Anglo American Bank hat sich als Insolvenz irgendwann abgezeichnet.

Dass die Commerzialbank in Mattersburg ex geht, war für fast niemanden vorhersehbar, da zwei Vorstände kriminell agiert haben, und das seit 1997!

Das Versagen der Aufsichtsbehörden trotz früherer Whistleblower ist leider ein Zeichen der Zeit, der sich durch Auslagerung von Prüfungen überall abzeichnet (Abgaswerte, Fintechs wie Wirecard).

Infos zur Commerzialbank Mattersburg:

https://orf.at/stories/3176723/

Politisch ist es auch nicht glücklich gelaufen, da Blümel als Finanzminister gesagt hat, dass alle Hopsi Kindersparbücher gesichert sind durch die Einlagensicherung, was dann doch nicht in jedem Fall so war, wenn die Identität auf andere Personen als die Kinder lief.
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by dejost »

In den ersten neun Monaten des Jahres sind um ein Drittel weniger Firmen pleitegegangen. Positive Nachricht ist das aber keine, denn die Insolvenzen seien in der Regel nur verschleppt worden, kritisierte der KSV1870.
https://orf.at/stories/3182456/
Die Verschuldung habe sich nämlich auf 2,7 Mrd. Euro verdoppelt.
Eine Pleite-Lawine mit Schneeballeffekt erscheint möglich.
Das geht, weil auch dafür die Fristen durch Corona verlängert wurden (ich habe die entsprechenden Bestimmungen jetzt aber nicht selbst gesucht).
Statt 3.808 Insolvenzen in den ersten drei Quartalen des Vorjahres haben sich heuer erst 2.583 Firmen für zahlungsunfähig erklärt. Die Zahl der betroffenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stieg aber von 12.200 auf 13.000
Dieser "Stundungsmodus", wie der KSV das nennt, gilt auch für Privatinsolvenzen, die ebenfalls zurückgegangen sind.

Der KSV befürchtet direkte Folgen auch noch in 2 Jahren inklusive mehr Insolvenzen, wo die Gläubiger völlig leer ausgehen.

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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by dejost »

Es passt nur am Rande hierher, aber woanders auch nicht besser:

Anlässlich des Jahrestags der Kernschmelze im AKW Fukushima hat der ORF einen guten Querschnittsartikel, der am Schluss eine - wie ich meine - allgemeingültige (Wirtschafts-)Weisheit stehen hat:
https://orf.at/stories/3204431/
Fukushima zeigt in einer ungeheuren Dimension nicht zuletzt auch, dass der Schaden von großen Katastrophen unweigerlich vergemeinschaftet wird: Der Stromkonzern TEPCO ist längst verstaatlicht, da die Kosten für die Eindämmung der Schäden so hoch sind, dass das Unternehmen sonst in die Pleite geschlittert wäre. Von den Folgen für die Bewohnerinnen und Bewohner der gesamten radioaktiv verseuchten Region gar nicht zu sprechen.

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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by dejost »

Die Mieten sind im letzten Jahrzehnt mehr als doppelt so stark gestiegen wie die Inflationsrate. Während diese zwischen 2010 und 2020 um 19,8 Prozent zulegte, verteuerten sich die Mieten im Schnitt um 44 Prozent pro Quadratmeter, zeigen Berechnungen von Agenda Austria.
https://oesterreich.orf.at/stories/3138925/

harald
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by harald »

Übrigens die Insolvenz von Airberlin wird sich noch lange ziehen:

https://amp.kleinezeitung.at/6018507
https://app.handelsblatt.com/unternehme ... 44896.html
https://www.lto.de/recht/kanzleien-unte ... -c-165-20/

Meine Vorhersage: Geld wird es nur noch wenig zu holen geben für die Gläubiger (außer für den Insolvenzverwalter, der verdient durch jede neue Klage wahrscheinlich noch einige Zeit weiter, wie man an der Klage betreffend die Emissionszertifikate nach Insolvenz unschwer erkennen kann).

Zu den Emissionszertifikaten: EuGH vom 20.01.2022, C‑165/20
Art. 3e der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates in der durch die Verordnung (EU) 2017/2392 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2017 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Luftfahrzeugbetreiber während der fraglichen Handelsperiode für Treibhausgasemissionszertifikate seine Luftverkehrstätigkeit einstellt, die Anzahl der ihm kostenlos zugeteilten Treibhausgasemissionszertifikate im Verhältnis zu dem Teil dieser Handelsperiode, in dem diese Tätigkeit nicht mehr ausgeführt wird, herabzusetzen ist.
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Re: Konkurs, Inflation, Volkswirtschaft - der Wirtschaftsthread

Post by dejost »

https://wien.orf.at/stories/3217915/
Während sich in manchen Branchen die Umsätze wieder erholen, hinkt der Handel hinterher. In den vergangenen Wochen haben auffallend viele Schuh- und Textilhändler Insolvenz angemeldet und schließen ihre Filialen. Zuletzt ist die Modekette Hallhuber dazugekommen, die mit Ende des Sommers neun von 13 Filialen in Österreich zusperrt. Die Geschäfte auf der Mariahilfer Straße und Kärntner Straße sollen vorerst weiterbetrieben werden
Delka, Salamander, Gerry Weber, Tally Weijl
„Querbeet trifft es unabhängig von der Größe einfach Unternehmen, die nicht gut aufgestellt sind“, sagte Günther Rossmanith, Modehändler und Branchensprecher der Wirtschaftskammer Wien. Viele Filialen befänden sich in sehr teuren Lagen und Einkaufszentren, wo die Mieten generell hoch seien. „Und hohe Mieten und rückläufige Umsätze, das verträgt sich nicht. Dazu kommen massiv gestiegene Personalkosten, weil die Inflation auf die Gehälter aufgeschlagen wird.“
Ganz sicher, die Personalkosten, weil die steigen mit der Inflation, aber die Verkaufspreise bleiben sicher gleich.
„Unsere Branche befindet sich in einem Verdrängungswettbewerb. Der Markt wächst an sich nicht. Ich würde sagen, wenn ein Unternehmen heute Umsatzsteigerungen erzielt oder expandiert, dann tut es dies auf Kosten anderer Unternehmen, sprich: ein anderes Unternehmen macht weniger Umsatz oder sperrt zu“
Weitere Konkurse sind wahrscheinlich.
Konkurrenz für die bekannten Modemarken kommt nicht nur vom Onlinehandel, sondern seit einiger Zeit auch verstärkt von Secondhandgeschäften. Vor allem jüngere Konsumentinnen und Konsumenten würden dorthin ausweichen. „Das ist ein Trend, das spüren wir noch nicht direkt in den Umsätzen, aber man sieht es am Straßenbild“, so Rossmanith. Gerade in Neubau und Mariahilf in den Seitengassen gebe es zunehmend Pop-up-Stores, wo man Vintage-Kleidung nach Kilopreisen kaufen könne, die Caritas eröffnet einen Carla-Store auf der Mariahilfer Straße.

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