Impfpflicht gegen Corona: Ja oder nein?
Sowohl auf fachlicher als auch auf politischer Ebene gibt es höchst unterschiedliche Meinungen in der Frage, ob eine Impfung gegen Covid-19 künftig verpflichtend sein soll oder nicht
Weltweit forschen zahlreiche Pharmaunternehmen und Institutionen mit Hochdruck an einem sicheren Impfstoff gegen Covid-19. Die London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM) listet aktuell fast 160 derartige Projekte auf. Und auch wenn die Weltgesundheitsorganisation WHO damit rechnet, dass bis zur Marktreife eines Impfstoffs zwölf bis 18 Monate vergehen werden, wird bereits jetzt in vielen Ländern intensiv über eine etwaige Impfpflicht diskutiert. Und auch in Österreich gehen die Meinungen dazu weit auseinander.
Anschober gegen Zwang
In Österreich gibt es keine generelle Impfpflicht. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat sich zuletzt am Mittwoch auch gegen eine verpflichtende Impfung in Sachen Coronavirus ausgesprochen, diese werde es nicht geben. "Meine Erwartung ist, dass die Krise so manifest da ist, dass das auf freiwilliger Ebene auch erreichbar ist", hofft der Gesundheitsminister.
Auch der Infektiologe Florian Thalhammer von der Med-Uni Wien befürwortet, dass Menschen motiviert werden sollen, sich impfen zu lassen. Er verweist außerdem darauf, dass es teilweise bereits jetzt schon eine Impfpflicht gibt, etwa für Personal in manchen Gesundheitseinrichtungen. "Ich halte das für extrem notwendig", betonte Thalhammer.
Risiko für Mitbürger
Andere, wie Volksanwalt Bernhard Achitz, sind wiederum dafür, zumindest eine Diskussion über eine Corona-Impfpflicht zu führen. Diese Diskussion müsse "evidenzbasiert und mit einer Abwägung des gesellschaftlichen Nutzens diskutiert werden". Auch eine Impfpflicht gegen Influenza wie von der Ärztekammer gefordert, um Spitalskapazitäten in der kommenden Grippesaison frei zu halten, "darf man diskutieren", sagte Achitz. "Wenn es der Sache dient", stehe die Volksanwaltschaft wie im Vorjahr wieder für einen Impfgipfel zur Verfügung.
Aktuell fordert der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, eine allgemeine Impfpflicht zum Schutz gegen das neuartige Coronavirus. Wenn künftig ein Serum gegen das Virus zur Verfügung stehe und sich manche Bürger dann der Impfung verweigerten, stellten diese ein hohes Risiko für jene Mitbürger dar, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden könnten, argumentiert Montgomery in Zeitungen der deutschen Funke-Mediengruppe.
Stelzer für Pflicht
Manche Politiker wie etwa der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) schließen sich dieser Meinung an: "Wie viel Leid und welch schwerwiegende Folgen diese Krankheit ausgelöst hat, haben wir in den letzten Wochen sehen müssen. Ja, ich bin daher für eine verpflichtende Impfung, sobald ein sicherer und ausreichend getesteter Impfstoff zugelassen wird", wurde Stelzer im Profil zitiert.
Doskozil im Zweifel dafür
Auch Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) ist dafür – wenn die Bereitschaft zu einer freiwilligen Impfung nicht hoch genug ist. "Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, ist auch eine Impfpflicht sinnvoll und notwendig", so Doskozil.
Die Parteigenossen aus Wien sehen das anders: "Bevor man über Impfpflicht spricht, wäre es viel wichtiger, die Service- und Qualitätsleistungen für das Impfen zu verbessern. Impfen ist nach wie vor Privatsache – es soll endlich eine Leistung der Krankenkasse werden", hieß es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Ähnlich die Stellungnahme des Kärntner Landeshauptmanns Peter Kaiser (SPÖ): "Das sollte in der individuellen Entscheidung jedes und jeder Einzelnen liegen."
Ärzte dafür, Apotheker dagegen
Aber auch die ÖVP zeigt keine einheitliche Parteimeinung: Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) beurteilt eine Impfpflicht "generell eher kritisch". Auch er bevorzugt Maßnahmen zur Aufklärung und zur Sensibilisierung der Eigenverantwortung. Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) wiederum hält es wie Doskozil: im Zweifelsfall dafür.
Die Gegensätze setzen sich auch auf fachlicher Ebene fort: die Ärztekammer ist pro Corona-Impfpflicht, die Apothekerkammer ist dagegen.
WISSEN: Erfahrungen mit Masern-Impfung
Eine Diskussion um eine Impfpflicht wurde zuletzt im Vorjahr im Zusammenhang mit weltweit wieder zunehmenden Masern-Erkrankungen geführt. In neun europäischen Ländern besteht aktuell eine generelle Impfpflicht gegen Masern für Kinder und Jugendliche. Laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten ist sie in Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Frankreich, Ungarn, Italien, Polen, der Slowakei und Slowenien vorgeschrieben. In Deutschland müssen mittlerweile Eltern vor der Aufnahme ihrer Kinder in eine Kindertagesstätte oder Schule nachweisen, dass diese geimpft sind.
In Österreich sind Impfungen gegen Masern/ Mumps/Röteln Bestandteil des Impfplans, eine Verpflichtung besteht nicht. Es ist jederzeit möglich, eine versäumte Impfung nachzuholen. Impflücken gibt es laut Gesundheitsministerium vor allem bei den Geburtsjahrgängen 2008 bis 2010 und bei Erwachsenen, die in den 1990er-Jahren geboren wurden. Außerdem sei ein Drittel der 15- bis 30-Jährigen kein zweites Mal geimpft. Um Masern auszurotten, seien Durchimpfungsraten von 95 Prozent mit zwei Dosen nötig.
Die derzeitige Influenza-Impfquote beträgt in Österreich knapp unter zehn Prozent. Für die kommende Grippesaison, die im Zusammenhang mit Corona eine gefährliche Belastung fürs Gesundheitssystem werden könnte, wird zumindest eine Verdreifachung der Grippeimpfungen angestrebt. (simo)