Liveübertragung bei Urteilsverkündung - VfGH vs § 22 Mediengesetz
Der Verfassungsgerichtshof ist rezent sehr viel in die Kritik gekommen, weil er der Wahlanfechtung der FPÖ der Stichwahl zur
Bundespräsidentenwahl stattgegeben hat. Details dazu
hier auf kortz.at/forum und in jedem sonstigen Medium. Vielleicht werde ich mich gelegentlich mit der Kritik am Urteil ausführlich auseinandersetzen, versprechen werde ich es aber nicht. Dazu kann für's erste auf diese beiden Artikel in
Kurier und
Standard verwiesen werden.
Die Urteilsverkündung wurde live übertragen.
§ 22 Mediengesetz lautet:
Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Film- und Fotoaufnahmen von Verhandlungen der Gerichte sind unzulässig.
Ich frug mich schon während der Übertragung, wie das zusammenpasst.
HP Lehofer, auf dessen Blog ich mit großer Häufigkeit verweise, gibt uns die Antwort:
http://blog.lehofer.at/2016/07/kameras- ... ssaal.html
Die rechtspolitische Frage wurde damit durch den Gesetzgeber eindeutig entschieden. Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit soll durch die Möglichkeit der Teilnahme von Medienvertreter_innen an der Verhandlung ausreichend gedient sein; die Berichterstattung in den audiovisuellen Medien kann auch durch Bild- und Tonaufnahmen, die vor und nach der Verhandlung aufgenommen werden, ergänzt werden. In der Verhandlung aber sind keine Kameras zuzulassen.
Das Verbot des § 22 MedienG richtet sich vor allem an den Richter/die Richterin, der/die die Verhandlung leitet, aber auch an die Medienmitarbeiter_innen und sonstige Verfahrensbeobachter_innen, die keine Aufnahmen machen dürfen, selbst wenn es vom Gericht erlaubt würde. "Allen an der Verhandlung Beteiligten [...] - und zwar auch dem Vorsitzenden selbst - ist es nicht gestattet, Ausnahmen zuzulassen", schreibt etwa Hanusch (Kommentar zum Mediengesetz, Rz 1 zu § 22).
Jetzt stellt sich die Frage, ist die Verkündung Teil der Verhandlung? Laienantwort: Ja, eh. Meine Erstantwort: Was denn sonst?
HPL hat sich natürlich die Mühe gemacht, die Literatur zu durchsuchen und die kommt zum gleichen Ergebnis, inklusive ehemaligen Justizministern. Die erläuternden Bemerkungen sind unergiebig.
Da der Gesetzgeber sich gegen eine von den Richter_innen vorzunehmende Einzelfallabwägung entschieden hat, kommt es daher auch hier nicht darauf an, ob im Einzellfall etwa Erwägungen des Persönlichkeitsschutzes zum Tragen kommen.
Irgendwelche schriftlichen Äußerungen dazu, wie der VfGH es begründet hat HPL noch keine gefunden (und ich selbst habe daher gar nicht zu suchen begonnen).
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über eine Wahlanfechtung unterscheidet sich wesentlich von jenen Fällen, die dem Gesetzgeber bei der Schaffung des § 22 MedienG besonders vor Augen standen: Strafsachen, in denen über Schuld und Strafe von Einzelnen entschieden wird. Im Verfahren über die Wahlanfechtung gibt es zwar auch Verfahrensparteien, deren Persönlichkeitsrechte aber - jedenfalls bei der Bundespräsidentenwahl - nur sehr eingeschränkt geschützt werden müssen. Der Verfahrensausgang betrifft über die Verfahrensparteien hinaus alle Wahlberechtigten[...] Es mag sein, dass für die Zulassung der TV-Übertragung im Hintergrund auch verfassungsrechtliche Überlegungen maßgebend waren: so könnte ein Verbot der Live-Übertragung der Verkündung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen im Lichte des Art 10 EMRK als bedenklich beurteilt und § 22 MedienG dementsprechend eingeschränkt interpretiert worden sein.
HPL führt auch dazu aus, dass es in Zeiten der schnelllebigen, elektronischen Kommunikation quasi eine Notwendigkeit ist, die Verkündung live zu übertragen, um die Deutungshoheit zu behalten. Das mag ein gutes Argument sein, um das Gesetz zu ändern, aber aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist damit nichts gewonnen.
In Deutschland, schreibt HPL, gibt es extra eine Ausnahme für die Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts. Bei uns wie erwähnt nicht, und so schließt HPL:
Der Verfassungsgerichtshof hat [sich eine solche Ausnahme] - wohl durch entsprechende einschränkende Auslegung des § 22 MedienG - de facto selbst geschaffen.
Um nicht nur andere Leute zu zitieren bzw zusammenzufassen, sollte ich wohl auch meine Meinung zum Besten geben:
Als Vorbemerkung sei angegeben, dass das ein Thema ist, dass von einer Handvoll Interessierten abgesehen kein Schwein interessiert.
Wo kein Anzeigeleger, da kein Richter. Insbesondere aber, sollte da jemals irgendwer von Konsequenz einen Fehler darin erblicken, würden (zumindest die Live-)Medien sofort für den VfGH in die Bresche springen, und sich von irgendwelchen juristischen Spitzfindigkeiten auch bei dieser Gelegenheit nicht abhalten lassen.
Den rechtspolitischen Ausführungen von HPL, wieso eine derartige Regelung sinnvoll wäre, kann ich zwar vollinhaltlich zustimmen, bezweifle aber, dass die Liveübertragung da so viel Beitrag leistet, unzutreffenden Spin zu verhindern - gerade der Anlassfall zeigte das ja eindrücklich.
Wenn sollte man doch etwas gegen die permanente Überschleunigung der Welt unternehmen und ihr nicht auch noch Vorschub leisten.
Mir persönlich fällt es leichter, die verkündete Entscheidung inhaltlich zu verteidigen, das bringe ich rechtsdogmatisch - teilweise mit einiger Anstrengung, aber immer noch - durch, wieso der VfGH (!) sich nicht durch den vom Wortlaut eindeutigen § 22 Mediengesetz gebunden fühlt, kann ich hingegen nicht für mich selbst überzeugend verteidigen.