Fuzo wrote:Seit Februar läuft mit dem größtenteils von der EU gesponserten Projekt KEEP erstmals der Versuch, Computer- und Videospiele vor dem digitalen Verfall zu bewahren. Ein eigenes Emulatoren-Framework soll der aktiven Retro-Gamer-Szene Portierungen auf neue Betriebssysteme ersparen und das Kulturgut Computerspiel - inklusive Kopierschutz - auch für kommende Generationen nutzbar machen.
Keeping Emulation Environments Portable (KEEP) hat ein Gesamtbudget von 4,02 Millionen Euro, 3,15 Millionen davon kommen vom Seventh Framework Programme der EU. Das auf drei Jahre (bis 31. Jänner 2012) angelegte Projekt soll eine Schnittstelle beziehungsweise ein Framework für Emulatoren entwickeln, die bestehende Emulatoren unter einer gemeinsamen Oberfläche zugänglich machen soll.
Neben den drei Nationalbibliotheken von Frankreich, Deutschland und den Niederlanden ist auch das Computerspielemuseum Berlin als Content-Provider und Berater an dem Projekt beteiligt. ORF.at hat mit dessen Leiter Andreas Lange erstmals im September 2008 über KEEP gesprochen und anlässlich des Projektstarts nachgefragt.
Andreas Lange ist studierter Religions- und Theaterwissenschaftler und arbeitet als Ausstellungsmacher, Autor und Dozent zum Thema digitale Unterhaltungskultur. Er war von 1994 bis 1995 Gutachter der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), ist seit 1997 Direktor des Computerspielemuseums in Berlin und war 2002 Mitbegründer von DiGA e. V. - The Digital Game Archive.
ORF.at: Herr Lange, KEEP läuft nun seit drei Monaten. Wo steht das Projekt derzeit?
Lange: Ich komme gerade aus Malmö, wo ich das Projekt bei der Nordic-Games-Konferenz der Spieleentwickler-Community präsentiert habe. Im August wird das Projekt auf einer Konferenz in Helsinki den Emulatoren-Entwicklern vorgestellt werden.
Im Konsortium werden gerade die letzten Strukturen festgelegt, für die Rechtsbereiche Deutschland, Frankreich und die Niederlande soll demnächst eine eigene juristische Studie vorgelegt werden. Das Computerspielemuseum Berlin hat damit begonnen, die Funktionalitäten der Bewahrungsschnittstelle zu erarbeiten, die Ergebnisse sollen dann als Arbeitsgrundlage für die Entwickler dienen. Wir sind also schon auf einem sehr guten Weg.
ORF.at: Worum genau geht es bei der Studie?
Lange: Im Grunde geht es um die Urheberrechtsgesetze. Es wird dabei untersucht, welche Möglichkeiten die jeweilige nationale Gesetzgebung bei der Archivierung digitaler Artefakte bietet. Schließlich empfinden die Emulatoren einerseits Hardware nach, die ursprünglich ein paar Leuten gehört hat oder immer noch gehört, und andererseits müssen wir die zu bewahrenden Kulturgüter von den Originaldatenträgern herunterholen, sonst verrotten die da. Das ist eine technische Notwendigkeit: Gerade magnetische Datenträger fangen schon langsam an, sich zu entmagnetisieren, und optische Datenträger halten auch nicht ewig.
ORF.at: Wäre es nicht einfacher, die Software direkt von den Herstellern zu holen?
Lange: Theoretisch ja, aber die Hersteller haben nicht unbedingt selbst noch Kopien ihrer Spiele. Das kann man immer wieder in diversen Newsgroups nachlesen, wo Firmenmitarbeiter in der Emulatoren-Community selbst Spiele nachfragen, die ihnen einst gehörten oder immer noch gehören - mit entsprechendem Feedback nach dem Motto: Ha ha, habt ihr eure eigenen Spiele nicht mehr! Und die sagen dann, ja, haben wir tatsächlich nicht mehr, da wir übernommen wurden und nun einen neuen Besitzer haben.
Der Markt ist noch sehr jung und dynamisch. Es gibt ja noch nicht einmal eine zentrale Stelle wie im Buchhandel, bei der jedes veröffentlichte Spiel registriert ist. Oft hat man schon Schwierigkeiten herauszufinden, wer überhaupt der Besitzer eines Spiels ist. Man hat es mit Rechtepaketen zu tun, die mehrmals geschnürt worden sind, oft nur für ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Region. Wir selbst haben keine Möglichkeit, für unsere aktuell 16.000 Titel im Archiv herauszufinden, wer denn jetzt der richtige Ansprechpartner ist, und für die Firmen ist es ebenfalls relativ neu, dass sich Bewahrungsanstalten für ihre Produkte interessieren.
ORF.at: Woher kam eigentlich der Anstoß für KEEP?
Lange: Ausgangspunkt war die französische Nationalbibliothek, die seit 1994 im gesetzlichen Auftrag alle Computerspiele sammelt, die in Frankreich auf den Markt kommen. Sie soll aber nicht nur sammeln, sondern hat auch das Bewahren und Zugänglichmachen als gesetzlichen Auftrag. Es gibt aber noch keine Idee und Möglichkeit, wie das umgesetzt werden soll, und das war die Riesenschance für KEEP.
KEEP ist genau zur richtigen Zeit angesiedelt, wir haben jetzt noch die Möglichkeit, die alten Laufwerke zu benutzen, um die Originaldaten von den Datenträgern herunterzuholen. Man geht davon aus, dass Computer eine Lebensdauer von 40 Jahren haben, selbst wenn sie nur selten benutzt werden, da irgendwann die Layer auf den Mikrochips anfangen, miteinander zu reagieren. Man kann also davon ausgehen, dass man in 25 Jahren keinen funktionierenden C64 mehr haben wird.
Wegen unserer großen Sammlung wurde auch das Computerspielemuseum Berlin als Content-Provider angefragt. Wenn KEEP fertig ist, werden wir das Ganze in parallelen Set-ups auch noch auf der originalen Hardware testen und auf Authentizität überprüfen können, das liegt dann ebenfalls in unserer Verantwortung.
ORF.at: Welche Spiele sammelt das Computerspielemuseum?
Lange: Wir haben keine Auswahlkriterien nach dem Motto: Das war ein Meilenstein, das müssen wir drin haben. Wir sammeln alles, mehrfach. Unser Sammelgebiet umfasst auch Magazine, Videoaufzeichnungen von Diskussionsrunden im Fernsehen, alles, was drumherum gehört.
Unsere Quellen sind einerseits Spenden, andererseits offizielle Stellen wie die USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle), an der wir über einen gemeinsamen Träger bis Ende 2007 sehr nahe dran waren. Zudem sind wir das offizielle Archiv des deutschen Spieleawards LARA, von dort bekommen wir alle Nominierungs- und Gewinnertitel. Daraus wird eine eigene LARA-Sammlung entstehen.
Wir haben aber nicht nur Spiele, sondern auch die passende Hardware dazu, alles aus den Bereichen Heimcomputer, Konsolen, Handheld. Wir kaufen im Rahmen von Projekten und deren Budgets zudem Geräte gezielt an, zum Beispiel einen originalen Atari-Pong-Automaten aus den 70er Jahren, den wir in Kanada gefunden haben. Es funktioniert auch größtenteils alles noch, aber auf Dauer müssen wir davon ausgehen, dass die Hardware irgendwann kaputt geht, und daher muss man davon wegkommen, wenn man digitale Artefakte bewahren will. Mit Software ist man wesentlich flexibler.
ORF.at: Kann ich Spiele eigentlich jederzeit zu Ihnen bringen?
Lange: Das ist tatsächlich ein großer Teil unserer Arbeit, damit wir mit dem Aufnehmen von Beständen auch hinterherkommen. Je genauer man dabei sein will, desto mehr Zeit nimmt das auch in Anspruch. Wenn Sie ein Spiel spenden wollen, bekommen Sie von uns eine Spendenbestätigung. Sie können es aber auch als Dauerleihgabe mit Leihvertrag zur Verfügung stellen und somit jederzeit wieder abziehen.
ORF.at: Worum genau geht es nun bei KEEP?
Lange: KEEP zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es auf relativ offizieller Ebene das erste Mal eine Anerkennung der letzten 15 Jahre Entwicklungsarbeit der Retro-Gamer-Szene darstellt. Emulatoren sind ja grundsätzlich nichts Neues, aber die Retro-Gamer sind die Ersten, die sie für bewahrende Zwecke eingesetzt haben. Wir haben die eigentlich ideale Situation, dass die Community aus sich heraus für alle historisch obsoleten Plattformen und meist als offene Projekte, ohne materielles Budget und öffentliche Gelder, bereits Emulatoren entwickelt hat.
Jedes Mal, wenn ein neues Windows oder Linux herausgekommen ist, mussten die Entwickler diese Emulatoren aber portieren, damit sie weiter nutzbar sind. Diese Problem verucht KEEP an der Wurzel zu beheben, und zwar mit der Idee, dass man eine virtuelle Bewahrungsebene herstellt, eine speziell programmierte Virtual Machine. Die Emulatoren müssen nur einmal auf KEEP portiert werden, die Anpassung an die jeweils aktuellen Betriebssysteme übernimmt dann KEEP. Es muss also nur einmal angepasst werden, und alle Emulatoren bleiben, wie sie sind, und müssen nicht mehr umgeschrieben werden.
KEEP ist also eine Schnittstelle, ein Framework für Emulatoren, für die Emulatoren selbst sind wir weiterhin auf die Community angewiesen. Vor allem müssen die Entwickler nun zu KEEP und dem Framework Vertrauen fassen und sagen: Ja, das halten wir für zukunftsträchtig, wir nehmen die Mühe auf uns, unsere Emulatoren auf KEEP zu portieren.
Ein weiterer Vorteil ist, dass die derzeitigen Emulatoren-Projekte nicht untereinander koordiniert werden, jeder Emulator hat seine ganz eigene Benutzeroberfläche, jeder, der sich das anschauen will, muss sich in den Emulator hineinarbeiten. KEEP bedeutet auch, dass wir eine einheitliche Oberfläche und Funktionalität schaffen wollen, die dann von den Programmierern direkt genutzt werden kann. Sie können sich dann auf das Nachvollziehen der technischen Hardware konzentrieren. Für den User hat es den Vorteil, dass es eine einheitliche Oberfläche gibt und er gar nicht merkt, welcher Emulator da jeweils hochgefahren wird.
ORF.at: Glauben Sie, dass Sie das bis Anfang 2012 schaffen?
Lange: Final nicht, wir gehen aber davon aus, dass wir alle Bereiche funktionstüchtig demonstrieren können. KEEP ist als Open-Source-Projekt angelegt, das heißt, Interessierte haben die Möglichkeit, das Projekt weiterzuentwickeln. Wir werden in den nächsten drei Jahren versuchen, die Basis so weit hinzubekommen, dass sie tragfähig ist und eine eigene Dynamik entsteht, die auch jenseits von geförderten Projekten weiterläuft.
ORF.at: Das heißt, auf Dauer wird KEEP weiterhin von der unbezahlten Arbeit der Community abhängen?
Lange: Es gibt ja schon die Leidenschaft und die Motivation in der Community, das alles jenseits von Förderungen zu machen. Die wird mit den Jahrzehnten abnehmen, und wir sind dann grundsätzlich gerne bereit, etwa KEEP 2 aufzustellen. Es ist auch denkbar, dass Universitäten oder Archive Koordination und Bewahrungsfunktionen übernehmen. Projekte von dieser Reichweite brauchen eine Koordinationsstruktur, wie diese sich dann herauskristallisiert, wird man sehen. Das kann entweder wieder über Förderungen oder rein über die Community passieren. Da sind wir sehr offen, wir wollen aber natürlich, dass sich KEEP weiterentwickelt.
KEEP ist ja nicht nur für Games interessant, sondern auch für andere digitale Bewahrungsobjekte und einfache Artefakte, etwa damit ein alter Text nicht immer migriert werden muss und dabei Gefahr läuft, Formatierungen oder Schrifttypen zu verlieren. Das Öffnen in Originalprogrammen geht aber nur über Emulatoren.
Das Literaturarchiv in Marbach etwa bekommt Nachlässe von Autoren, die in den 80er Jahren auf dem Atari-Computer geschrieben haben, und wenn das ein Dichter war, kommt es auch auf Zeilenumbrüche an. Wenn Sie einen WordPerfect-Text in Word 1, dann Word 2 und so weiter migrieren, sehen die Texte irgendwann anders aus, als sie eigentlich geschrieben wurden. Für Games kommt die Migrationsstrategie ebenfalls nicht infrage, denn das würde bedeuten, dass man alle Spiele immer wieder neu umschreibt auf die aktuellen Betriebssysteme. Das kann niemand leisten.
ORF.at: Was ist mit dem Kopierschutz und der Online-Aktivierung über Server, die vielleicht irgendwann einmal abgeschaltet werden?
Lange: Beim Kopierschutz verweise ich gerne auf eine Ausnahme im Digital Millennium Copyright Act (DMCA) aus dem Jahr 2003, dem US-Urheberrechtsgesetz, das nach einem entsprechenden Antrag des Internet Archive für bewahrende Zwecke bei obsoleten Datenträgern eine Ausnahme bei der Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen vorsieht, damit sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht kriminell werden.
Die europäische Rahmengesetzgebung bietet diese Option ebenfalls. Es liegt aber an den einzelnen Mitgliedsstaaten, bei der Ausgestaltung ihrer nationalen Gesetzgebung diese Ausnahmen zu implementieren. Unsere Rechtsstudie soll auch abklären, wie weit diese Ausnahme in den drei untersuchten Ländern bereits gegeben ist.
In Deutschland gibt es diese Ausnahme noch nicht. Zwar hat das Computerspielemuseum bei der letzten Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes eine entsprechende Stellungnahme abgegeben, die wurde aber ignoriert. Nach der Bundestagswahl im September wird der dritte Korb in die Verhandlung gehen, und da werden wir dann sehr aktiv für unsere Bedürfnisse werben. Mit KEEP im Rücken sind wir zuversichtlich, dass der Gesetzgeber nicht mehr darüber hinweggehen kann.
Bei der Online-Aktivierung muss man jetzt mit den Publishern und Entwicklern ins Gespräch kommen, um ihnen diese Problematik überhaupt klarzumachen und gemeinsam vertrauenswürdige Strukturen zu entwickeln, damit bestimmte Informationen hinterlegt werden können. Wenn ein Registrierungsserver offline geht, weil die Firma bankrott ist, können die Spiele damit auch in der Emulation weiter genutzt werden.
Letzlich ist die aktuelle Situation ein Zustand, der ja auch für die Industrie nicht wünschenswert ist. Sie wird immer wieder mit Vorwürfen konfrontiert, dass dieses und jenes Spiel schädlich sei, entweder weil gewalttätig oder weil anstößiges Material enthalten ist. Die übliche Strategie der Industrie bei einer Gerichtsverhandlung ist das Berufen auf die freie Meinungsäußerung und dass sie Kunst machen. Und sie gewinnen damit. Nun ist es aber nicht sehr glaubwürdig, wenn sie auf der anderen Seite nicht dafür sorgen, dass Institutionen zur Bewahrung keine Knüppel in den Weg geworfen bekommen. Ich rechne mit einer zunehmenden Bereitschaft von der Industrie, hier bei der Bewahrung helfen zu wollen. Das ist eine Form von Erwachsenwerden.
ORF.at: Wie wird die Nutzung von KEEP in Zukunft aussehen?
Lange: In allen vier involvierten Aufbewahrungsinstituten, den Nationalbibliotheken von Deutschland, Frankreich und den Niederlanden sowie dem Berliner Computerspielemuseum, wird es jeweils eine serverbasierte Installation geben mit einer zentralen Verwaltung der Sammlungsstücke. Man wird also in den Nationalbibliotheken die Spiele vor Ort spielen können.
Uns ist es aber auch sehr wichtig, eine Installation für die private Nutzung anzubieten, wo man sich dann die einzelnen Emulatorenmodule herunterlädt, um sie den eigenen Bedürfnissen anzupassen, zum Beispiel um meine Studienunterlagen vom C64 wieder zugänglich zu machen. Wir werden dazu zwar Hilfestellungen anbieten, grundsätzlich liegt es aber in der Verantwortung des jeweiligen Nutzers, was er damit macht und welche Inhalte er nutzt. Die Spiele selbst werden wir nicht zum Download anbieten.
Es soll vorerst einen Windows-Port geben, weil es das am weitesten verbreitete System ist. Linux ist dann relativ naheliegend. Natürlich soll KEEP dann überall dorthin portiert werden, wo es möglich und sinnvoll ist. Auch eine Portierung auf Konsolen ist denkbar, die Firmen könnten dann dort ihre Spiele anbieten und zum Beispiel eine alte NES-Software für den PC verkaufen. Je erfolgreicher wir sind, je mehr sich KEEP verbreitet, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass KEEP auch kommerziell interessant wird. Wir haben nichts dagegen, dass ein solcher Markt entsteht, KEEP selbst wird nicht kommerziell werden.
(futurezone/Nadja Igler)